Luis Stabauer

 

Die Weißen, Roman, Luis Stabauer, Hollitzer Verlag, 464 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-99012-462-8, € 25,00

als E-Book, € 19,99, ISBN 978-3-99012-463-5,

"Stabauer bettet seinen politischen Roman und die Personen, die diesen prägen, in die konfliktreiche Entwicklung Österreichs im 20. Jahrhundert ein. Ein spannendes und berührendes Buch." Emmerich Tálos, Politikwissenschaftler 

"Am Beispiel einer Wiener Familie lässt Luis Stabauer Ereignisse und Verbrechen vor und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in ihrer Heimatstadt lebendig werden. Er hat mit diesem Buch ein Denkmal gegen das Vergessen dieser Zeit geschaffen." Nikolaus Habjan, Regisseur und Puppenspieler

Ernsts Kinderjahre:

„Papa, bin ich auch ein Jude?“, fragte Ernst. „Nein, mein Lieber, wir sind keine Juden, es wäre aber auch egal. Für die Faschisten sind Juden Untermenschen, aber mit dem Judenhass begonnen haben die sogenannten Christlichsozialen in Österreich.

„Wir müssen aufpassen, dass es uns nicht wie den Juden geht, auch uns wollen sie aus allen Ämtern draußen haben“, fuhr sein Vater fort. „Womöglich gibt es die sozialdemokratische Arbeiterpartei bald nicht mehr. Aber wir werden uns das nicht gefallen lassen. Die Nationalsozialisten sind keine Sozialisten, das sind Faschisten, genau wie der Dollfuß und die Heimwehr. Auch wenn sie sich derzeit noch bekämpfen.“

Ernst sah die angespannten Gesichter seiner Eltern und nickte. Bevor er wieder mit der Straßenbahn zu Oma fahren musste, kam sein Vater noch mit der Gitarre in die Küche. Er schloss das Fenster und sie sangen zu dritt Arbeiterlieder. Eines kannte Ernst noch nicht, Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, ein Lied mit vielen Strophen. Sein Papa erklärte ihm, dass Florian Geyer ein Aufständischer aus den Bauernkriegen vor vierhundert Jahren gewesen war. Der rote Hahn, der im Lied vorkam, sei eine Aufforderung, die Kirche anzuzünden. Vierhundert Jahre und der rote Hahn, das wollte sich Ernst merken.

Franzi, ihre ersten Erinnerungen:  

Es war im Sommer, nachdem ich vier geworden war. Ich erinnere mich noch ganz genau. Wieder einmal kamen die Freunde meiner Eltern zu uns.

„Die Weißen kommen heute“, sagte Mutti, „bleib im Zimmer.“

Die Tür blieb aber wie immer einen Spalt offen und ich lauschte den Gesprächen in der Küche. Über Herbert und Martha Peter redeten sie auch heute wieder. Warum sie sterben mussten, dass der Dollfuß und die Katholen dafür verantwortlich waren, warum sie von den Sozialisten in Stich gelassen wurden, wo es genau passierte, und wie sie starben – ich verstand nicht alles, aber dass es viel Böses gab, das war mir klar. Auch diesmal fragte Mutti am Ende der Zusammenkunft, wer diese Woche Blumen auf das Grab von Herbert und Martha legen würde.

Einige Wochen später waren die Weißen wieder da und saßen bei meinen Eltern. Wieder wurde über die beiden Toten diskutiert. Ich wollte auch etwas tun und nahm mir vor, Blumen auf das Grab von Herbert und Martha (Ernsts Eltern) zu stellen. Mit Mutti war ich schon öfters am Ottakringer Friedhof gewesen, den Gandhi besuchen. Er war einer von den Weißen und arbeitete mit seiner Frau in der Friedhofsgärtnerei.

Ernst, Jahre danach:

Nachdem der Transporter vor der Einfahrt zur Portierloge anhalten hatte müssen, konnte er die Aufschrift lesen: Heilpädagogische Klinik der Stadt Wien – Am Spiegelgrund. „Spiegelgrund, da wurde doch auch meine Oma hingebracht,“ dachte er, bevor ihn das übliche Geplärre empfing, „Zufahrt zur Abgabe des Zöglings freigegeben, Heil Hitler!“ „Danke, Heil Hitler!“

Grob packte ihn der Begleitsoldat am Arm und führte ihn zu einem hell erleuchteten Haus.  Pavillon 17, konnte er lesen. Dort richtete der Soldat sein Gewehr auf ihn und läutete an. Eine Frau in brauner Schwesterntracht erschien in der Tür, machte einen strammen Hitlergruß und schlug die Absätze zusammen. Hinter ihnen wurde die Tür versperrt. Der Bewacher wies ihn an, im ersten Stock zu warten.

„Ernst Peter ins Schwesternzimmer!“, schnarrte es aus dem Lautsprecher. Nach dem Eintreten überreichte ihm eine Schwester zwei kleine Wäschepakete:

Im Waschraum standen zwei Burschen an den Waschbecken, sie wippten mit den Oberkörpern vor und zurück. Leise ging Ernst in den Schlafsaal. Fluchtgefahr stand auf einer Tafel über seinem Bett. Er legte sich hin und starrte zur Decke. „Offensichtlich werden hier Kinder und Jugendliche gemeinsam untergebracht“, dachte er.

„Verdammt, wo bin ich hier gelandet“, murmelte er wenig später. Die Worte des Direktors der Jugendstrafanstalt, nach der gescheiterten Flucht, fielen ihm ein. 

Franzis schlimmster Tag:

Für 17. März 1943 war wieder eine Verhandlung angesetzt worden, an der Vati als Zeuge teilnehmen sollte. Er war noch immer im Einser und Mutti konnte ihn besuchen. Sie schrieb mir für Mittwoch eine Entschuldigung.

Am Eingang zum Landesgericht mussten wir warten. Mutti ging zum Portier.

„Die Verhandlung ist verschoben und Besuchsschein hatte er auch keinen für mich“, sagte Mutti danach.

„Gestern war doch Dienstag“, fiel mir ein, „vielleicht haben sie Vati wieder auf den Mittersteig gebracht. Fahren wir hin?“


„2005, noch vor dem Erscheinen von Elisabeth Scharangs Film über das Schicksal Friedrich Zawrels, Meine liebe Republik, bekam ich das Video Gespräch über sein Leben. Seine dramatische Geschichte, sowie der Schutz des NS-Verbrechers Gross durch hohe sozialdemokratische Funktionäre haben mich nicht mehr losgelassen.

2009 habe ich eine Biographie Der Kopf meines Vaters herausgebracht. Die Geschichte einer Frau, deren Vater von den Nazis geköpft wurde, als sie dreizehn war.

In Die Weißen liegen diese beiden Personen hinter den Figuren Ernst und Franzi. Die Beschäftigung mit ihnen und die Entwicklung der Handlung sind eine kleine Anerkennung an alle die damals Widerstand geleistet haben.
Luis Stabauer